Schon beim ersten virtuellen Rundgang durch das Museum war ich sofort wie elektrisiert von der geheimnisvollen Aura der kleinen, mittelalterlichen Madonna aus dem 13./14. Jahrhundert. Sie erinnert mich an Skulpturen aus Südostasien, denn im ersten Moment sieht es so aus, als habe sie die Augen geschlossen – wie viele Buddhafiguren, die ich gesehen habe – und dazu passt auch das entrückte Lächeln in ihrem Gesicht.
Wahrscheinlich kommt der Eindruck der geschlossenen Augen aber nur daher, dass die farbige Fassung der Skulptur nicht mehr erhalten ist und die nicht mehr sichtbaren Pupillen der gemalten Augen wie Augenlider wirken.
Auch andere Teile der Tuffsteinfigur sind verwittert oder beschädigt und der Kopf des Jesuskindes fehlt ganz, doch tut dies der Innigkeit des Gesichtsausdrucks und der spürbaren Zweisamkeit zwischen Mutter und Kind keinerlei Abbruch.
Über die Herkunft der Madonna ist nur bekannt, dass sie in der Umgebung des ehemaligen Klosters Jakobsberg gefunden wurde, wo sie, wie aus der Bearbeitung der Rückansicht zu schließen, vermutlich an einer Wand angebracht war.
Aus der sich unwillkürlich stellenden Frage, wie diese Madonna mit Kind und insbesondere der Kopf des Kindes ursprünglich einmal aussah, kommen mir im Zusammenhang mit der fernöstlichen Assoziation weitere Fragen, denn wir wissen doch, dass diese aus dem Nahen Osten stammende Frau sehr wahrscheinlich keine blonden Haare hatte, mit denen sie in westlichen Kulturkreisen meistens dargestellt wird. Christen gibt es auf der ganzen Welt, aber wie identifizieren sich Gläubige z.B. aus Afrika oder China mit der Gottesmutter und deren Darstellung? Gibt es einen Zusammenhang mit den schwarzen Madonnen, die in der Romanik besonders im Mittelmeerraum plötzlich gehäuft auftauchen? In Brasilien z.B. werden die schwarzen Madonnen als Ausdruck der Gläubigkeit der farbigen Bevölkerung gesehen. Wie sieht das in anderen Kulturkreisen aus?
In meiner Arbeit, die ich der kleinen Madonna in Augenhöhe gegenüberstelle, entwerfe ich vier mögliche Kinderköpfe, welche die Frage der kulturellen Identität aufnehmen.