Das Thema „Westwärts“, das den Blick gezielt auf unsere Nachbarn im Westen Europas richtet, bot mir die reizvolle Möglichkeit, mich mit der irischen Mythologie auseinanderzusetzen. 

Bereits bei meinem ersten Besuch in Irland haben mich die Sagen und Mythen des Landes fasziniert. Besonders hat mich der fremdartige Mythos der „Anderswelt“ berührt, der eine parallele Welt jenseits unserer normalen Wahrnehmung und Erfahrung beschreibt. Die Anderswelt ist ein Ort, an dem die bekannten und anerkannten Gesetze der reinen Vernunft und der bloßen Wissenschaft außer Kraft gesetzt sind; mystische und magische Kräfte sind hier am Werk. In dieser Welt existieren die Grenzen zwischen Gut und Böse nicht mehr in ihrer uns bekannten Form. Vielmehr ist es ein Ort der Transformation und des Wachstums, an dem der Einzelne den Kräften des Universums begegnet. Diese Anderswelt als spezielle und einzigartige Welt neben der uns bekannten, ist eng mit dem Glauben an die spirituelle Bedeutung der Natur sowie der Idee des Lebens als Zyklus verbunden.  

In der jetzigen Zeit, die geprägt ist durch schnellen Wandel, Unsicherheiten und weltumspannende Herausforderungen, wird jeder Einzelne als Teilnehmer an der digitalen und damit globalen Welt zum gläsernen und allseits verfügbaren Wesen. Freiwillig und doch gezwungen interagiert das Individuum ständig und ohne Pause über die sozialen Medien mit seiner Umwelt, was ihn in Folge durchlässig, verletzlich, ja sogar porös erscheinen lässt. 

In diesem Kontext interagieren nun meine Skulpturen. Dem geöffneten und durchlässigen Menschen gerät die Anderswelt zum Symbol für die Sehnsucht nach einem Ort der inneren Ruhe, Offenheit und Verständigung. Die gezeigten Protagonisten lassen eine tiefe Versunkenheit in sich selbst erkennen und sind Ausdruck des Wunsches nach innerer Ruhe und Kraft. Die Öffnungen oder  Auflösungen der Büsten lassen nicht nur die Durchlässigkeit der dargestellten Figuren erahnen, sondern sie ermöglichen gleichfalls neue Perspektiven. Die Offenheit und gleichzeitige Zartheit symbolisieren den Versuch, eine Verbindung zwischen der vorgegebenen äußeren und der gesuchten inneren Welt herzustellen.

Die Skulpturen laden den Betrachter ein, sich auf eine Reise in die Anderswelt einzulassen und einen Moment der inneren Ruhe und Inspiration zu erleben. Einzutauchen in die Schönheit und Weisheit einer nach innen gewandten Seins-Welt, die uns heutigen Menschen bereits erstaunlich fremd geworden ist, obschon sich ihre Wiederentdeckung wahrlich zu lohnen vermag.

  • Titel The Otherworld
  • Jahr 2023
  • Ausführung Keramik
  • Größe